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Geboren um zu kaufen

Ich bin genervt.

Ständig will mir jemand was verkaufen. Kaum bin ich im Netz unterwegs, schon springen sie mich an: Botschaften mit denen mir erzählt wird, wie toll dies, wie toll das ist. Irgendwelche C-Promis schauen mich breitgrinsend aus ihren selbstgemachten Reels und Videos an und wollen mich zum Kauf von Allerei überzeugen: Nichts von all dem brauche ich wirklich. Übersetzte man diese Welt aus dem Netz in den Alltag der frühen Siebziger, würde es den ganzen Tag bis in den Abend hinein, in Abständen von nur wenigen Minuten an der Haustür klingeln: Davor stünden dann Herren in grauen Anzügen mit Staubsaugern, Schuhcremes ,Töpfen, Pfannen und Allzweckreinigern: Alles für den Haushalt.

Früher machte man die Tür einfach zu. Und es war Ruhe.

Heute aber will man mich „binden“: An eine Marke, ein Produkt. Man erzählt mir , wie geiler, um wie vieles besser mein Leben sein wird, wenn ich die Marke X ins Regal stelle und das Produkt Y zur Schau trage: Das Leben wird dann zu einem einzigen wunderbaren Sommerabend am Strand, mit niemals versiegendem Aperol und Sekt bei gutem Essen und mit einem unvergleichlichen Sonnenuntergang. Die Marke und ich. Wir sind dann endlich sozusagen eins. All das erzählt man mir mit wohlfeilen Worten, eingebettet in wunderbare Geschichten. Storytelling nennt man das. Nee Freunde: Gute Geschichten gehen anders.

Alles Bullshit: Ihr wollt mein Geld für noch mehr Umsatz, noch mehr Gewinn, höhere Margen und steigende Kurse. Und am Ende sind die Reichen noch reicher.

Ich bin genervt.

Together, Wendy, we can live with the sadness
I’ll love you with all the madness in my soul
Oh, someday, girl, I don’t know when
We’re gonna get to that place where we really wanna go
And we’ll walk in the sun

Aus: Born to run von Bruce Springsteen

Zeit, „Nein “ zu sagen. Nicht immer, aber immer öfter.

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7 Kommentare

  1. Der Haustürvergleich weckt loriotsche Erinnerungen. Wenn die Werbung heutzutage wenigstens noch ein wenig besser und ein wenig weniger verkorkst wäre. Was dabei am beschissensten ist: Wenn einem Blogs noch was verkaufen wollen. Ich versteh, dass man damit Geld verdienen kann/ muss, aber ab dem Moment bin ich persönlich raus und lese die Seiten nicht mehr.

    1. Wenn der Werbende über Humor verfügt und sich selbst nicht so wichtig nimmt: dann auch gerne mal Werbung. Aber als Dauerzustand im „Dauer-Selbstbranding-Modus“, in dem ich nur als Konsument, aber nicht als Mensch gesehen werde: Nope, da bin ich raus. Und es geht mir wohl so wie dir!
      Liebe Grüße

  2. Lieber Werner,

    es ist nur allzu selbstverständlich, wohin sich meine Gedanken wenden, wenn „die Herren in den grauen Anzügen“ ins Spiel kommen. Auch, wenn aktuell oftmals der Vergleich zu „1984“ aufkommt, wir sollten alle nochmal „Momo“ lesen!

    Denn längst sind wir über das Spielchen hinaus, wo es „nur“ ums Geld geht. Es geht um den Tausch Ware-Wissen, oder Ware-Zeit. Ich habe den üblen Verdacht, dass es dabei (wie übrigens seit eh und je…) Verlierer auf der immergleichen Seite gibt.

    1. Lieber Dirk,

      das wunderbare Buch von Michael Ende gehört mittlerweile an vielen Schulen zum „Kanon“ – Und das ist gut so.
      Leider sind es nicht mehr nur „Herren in grauen Anzügen“; da trollen sich sehr viele trübe Typen, die uns Geld, Zeit und Macht (= unsere Stimme) nehmen.

  3. Hallo Werner,
    wenn dich die Werbung so dermaßen nervt, warum schaltest du die Kanäle nicht einfach ab? Es gibt Werbeblocker, man muss sich nicht den sozialen Medien verschreiben, man braucht nicht jede App vom Supermarkt oder Discounter usw.
    All die digitalen Türen scheinen bei dir offen zu stehen. Das wird natürlich ausgenutzt. Mach sie zu – so wie deine Haustür.
    Liebe Grüße aus dem Kraichgau
    Sibylle

    1. Hallo Sibylle,

      du hast natürlich Recht. All das könnte ich tun: Alles abschalten, oder erst gar nicht einschalten. Nichts nutzen. Das Smartphone auf auf wenige Anwendungen beschränken. Stimmt alles.
      Ebenso könnte ich alternativ morgens im Bett bleiben, keine Zeitung mehr lesen, wenige Einkäufe machen, die Begegnung mit anderen Menschen auf ein Minimum begrenzen. Oder – wie es wolf Lotter in einem Artikel der Zeitschrift „Brandeins“ mal beschrieben hat:
      1. Machen Sie keine Geschäfte
      2. Reduzieren Sie ihre Erledigungen auf null
      3. Gehen Sie nicht aus dem Haus
      4. Telefonieren Sie nicht
      5. Sprechen Sie mit niemandem
      6. Bleiben Sie im Bett
      7. Schließen Sie die Augen
      8. Hören Sie auf zu atmen.

      Dieser Leitfaden bezieht sich zwar auf die Vermeidung von Komplexität (daher „hinkt“ er ein wenig in diesem Zusammenhang), aber im Kern trifft`s.
      Ich tue all das nicht; weil es lebensfern ist und ich mich für einen anderen Weg entschieden habe. Dazu gehört, dass ich hier und da genervt bin und darüber schreibe,

      Vielen Dank für deinen Kommentar!

      Liebe Grüße aus dem Kraichgau
      Werner

  4. Lieber Werner,

    ich teile deine Genervtheit und versuche, Werbung aus dem Weg zu gehen, ohne mich ins Abseits zu begeben. Ich schaue z. B. wegen der Werbung kein analoges Fernsehen und höre fast ausnahmelos nur werbefreie Radiosender. Auf Facebook bewege ich mich überwiegend in Gruppen, die sind (noch?) werbefrei. Am Schlimmsten finde ich, dass wir alle wissen, dass ein nachhaltigeres – sprich zurückhaltendes – Konsumverhalten der einzig richtige Weg ist, wenn wir Menschen noch ein wenig länger auf diesem Planeten leben wollen und gleichzeitig bei einem Rückgang dessen, sofort geschrien wird: Die Wirtschaft wächst nicht- Krise! Die Menschen kaufen zu wenig. Das System ist einfach krank und der Wille es zu heilen, gering.

    Ich habe geschmunzelt, als ich mich an früher erinnerte. Es waren ja nicht. nur die Vertreter an der Haustür. Erinnerst du dich an die ersten Influenzerinnen (ausnahmslos weiblich), die mit den verschiedensten Produkten in Form von Hauspartys ihre Werbekreise zogen, allen voran Tupperware und Avon :D?

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