Gehen Sie bitte weiter
An diesem Fleck auf der Landkarte habe ich meine Kindheit und Jugend verbracht: Witzenhausen. Damals noch „Zonenrandgebiet“ (ein Wort, das längst im Ruhestand ist und bald, schon ganz bald, niemand mehr kennen wird). Beschaulich und übersichtlich war es damals dort. Und wir Kids glücklich: Ihr wisst schon… der leicht verklärte Blick zurück voller endloser Sommertage, blauem Himmel, viel Herzklopfen und ebenso viel Unbeschwertheit.
Dort bin ich ins Leben gesprungen: Habe das Erscheinen so großartiger Alben wie „Peter Frampton comes alive“ , „Rumours“ von Fleetwood Mac oder „Running on empty“ von Jackson Browne miterleben dürfen (um nur ein paar zu nennen) und habe viele Abende lang vor dem Radio zugebracht. Ich war sehr viel draußen und mit Hineinwachsen in die Pubertät sehr viel nachts unterwegs. Viel buntes Lametta, kaum graues Packpapier. – Es war mir ein Vergnügen. Und allen, die dabei waren bin ich bis heute dankbar.
Wer mehr darüber lesen möchte, wird hier oder hier fündig. Im Grunde aber trägt dort drüben auf www.AlleAugenblicke.de jeder Beitrag mein Leben in sich.
Und nun eben mal wieder einen Tag dort vorbeigeschaut – wie es heute so heißt „aus Gründen“. Aus Zonenrandgebiet wurde Nachbarschaft zu Thüringen. Und damit zu Höcke (genau: DEM Höcke), der nur ein paar Kilometer weit – eben in Thüringen – entfernt lebt. Gut: seine Nachbarn sucht man sich nicht aus; ein unbehagliches Gefühl können sie aber schon verleihen. Und so wie sich Witzenhausen heute in Teilen präsentiert, so stelle ich mir deutsche Städte und Gemeinden nach 5 Jahren Höcke vor: trist, grau, leer: Irgendwie perspektivlos.
Die Innenstadt wirkt wie ein Laden nach dem Ausverkauf: Leere Regale und Krümel auf dem Boden.
“ Bitte gehen Sie weiter, hier gibt es nichts zu sehen“
Wir werden uns nun so schnell nicht wiedersehen: Du und ich, Witzenhausen.
Lieber Werner,
Witzenhausen sieht tatsächlich ein wenig trostlos aus. Kein Ort, den man sich auf einer Liste mit schönen Ausflugszielen notieren würde. Dir hat der Besuch sicher ein buntes Potpourri an Erinnerungen beschert. Unser Gehirn schmückt sie gern mit Blümchen und Zuckerwatte aus, wer kennt das nicht?
Danke für das Video, kannte ich noch nicht. Es erinnerte mich an das Drama um die Essighäuser. Auch dort, wo längst u.a. die evakuierten Mieter und das Molotow eine neue Heimat gefunden haben sollten, herrscht leere Trostlosigkeit. Aber das hat mit deinem Beitrag nicht viel zu tun 😉.
Liebe Grüße
Conny
Ja, leider ist aus dieser Oase meiner Kindheit ein grauer Ort geworden. Selbst dann, wenn ich Blümchen und Zuckerwatte meiner Erinnerungen weglasse. Aber was würde eine sehr weise Dame aus dem Kraichgau dazu sagen: „So isch`s Lebe“.
Liebe Grüße,
Werner
Ja, lieber Werner, so verläuft es oft. Die Rückreisen in Kindertage enden entweder in genau dem Plüsch, der einem seit eh und je in den Sinnen hängt, oder es umfängt uns der ganz raue Mantel der Entzauberung.
Kennst du dieses Gefühl also auch, lieber Dirk? Es sind mitunter ernüchternde Blicke. Vielleicht ist es aber auch das „Alter“, was den Eindruck/die Eindrücke heute deutlich grauer einfärbt
Liebe Grüße,
Werner
Na, sagen wir doch lieber > Distanz >, die Dinge sind halt ein Stückchen hinter uns. Alter klingt auch so unflexibel 😉
Diese Ecken Hessens mag ich sehr, Thüringen übrigens auch. Die Ansichten, die sich mir dort zeigen, spiegeln nicht selten das Zeitlose wider, das ich gerne in meinen Street Fotografien ablege, und in modernen Städten oft vergeblich suche. Und die Menschen dort, alte, junge, mit ihrer Historie und den Kerben der Zeit, sind herrlich menschlich.
Beste Grüße aus Siegen, Dirk
Ich mag diesen Landstrich auch; habe schließlich auch einen guten Teil meines Lebens dort verbracht. Wahrscheinlich sieht man dann die Dinge (und um die Dinge geht es) etwas differenzierter, bzw. anders. Ansonsten mag ich diesen leicht melancholisch/morbiden Charme des Ländlichen auch sehr. Er findet sich ja (mittlerweile) in vielen Regionen. Ich finde ihn hier auch im Schwarzwald, oder ein paar Meter weiter über die Grenze auch im Elsass. Das „Zeitlose“ -wie du es nennst – ist wohl auch ein Zeichen dafür, dass viele Gegenden es sich einfach nicht mehr leisten können, den „Anschluss“ zu halten. Ich sehe das nicht so sehr fotografisch (das hat auf jeden Fall seinen Reiz) sondern mehr gesellschaftlich. Aber der Blick auf die Menschen dort ist immer menschlich.
Liebe Grüße,
Werner
Dieses „Zeitlose“ sehe ich durchaus als Fotograf. Allerdings auch als Mensch. Und da bleibt mir nichts anderes übrig, als mich zu fragen, ob wir dort, wo „der Anschluss gehalten wird“, überhaupt noch Alterungsprozesse, Verfall und touristisch unattraktive Normalität zulassen. Die Diskrepanz zwischen der morbiden Realität (Z.B. Nordhessen) und der fassadenhaften Hochglanzwelt auf der anderen Seite, offenbart den ganzen Irrsinn. Da brauche ich mich nur hier in Siegen umschauen. Dieses „Hauptsache, anders und neu“, treibt bauliche Blüten, die mir Augenschmerzen bereiten. Und diejenigen, die dort leben, werden längst nicht immer gefragt, ob sie das überhaupt mögen. Von mir aus könnten manche Prozesse einfach mal anhalten, oder viel, viel langsamer laufen. Das wäre u.U. heilsam.
Eine schöne Adventszeit wünsche ich dir!