Einmal im Jahr zurück
„Die Leute mögen keine Farben mehr“, sagt die ältere Dame im Hotelaufgang und deutet mit ihrer Hand auf die Autos vor dem kleinen Hotel. Dort stehen sie sauber aufgereiht, die schwarzen und weißen SUV. – „Früher“, fährt sie fort, „fuhren wir einen gletscherblauen Daimler“, sie deutet mit der Hand auf das Sakko ihres Mannes, „so leuchtend blau wie dies hier!“ – Aber heute ist ja alles schwarz -weiß und schal wie abgestandenes Wasser“. Sie seufzt.
Sie selbst ist, sagen wir,… farbenfroh gekleidet: Rote Jacke, weiße Hose, gelbe Schuhe. Ihre Haare grellblond. Ihr Alter: geschätzt auf Ende achtzig. Ihr Mund so rot wie ihre Jacke.
Eine kurze Begegnung im Hoteleingang: Sie und ihr Mann im Aufbruch zu einem Spaziergang, ich beim Packen des Autos.
„Ich fahre einmal im Jahr hierher zurück in meine Jugend“, schließt sie den kleinen Dialog und zeigt dabei mit ihrem Stock in die Umgebung.
Ein Satz wie Schlagsahne auf einem Stück Erdbeertorte.
Mich lässt diese kleine Begegnung nachdenklich zurück. Ein bunter Farbklecks auf einer grauen Wand. Und was für ein schöner Gedanke, einmal im Jahr zurück in seine Jugend zu fahren. Nicht, weil früher alles besser war. Nein, nein: Das war es ja nicht. Wissen wir ja.
Nichts war besser.
Doch alles war offen: Das Leben, die Zukunft: alles lag vor weit und offen vor uns. Kein Ende in Sicht. Kein Horizont. Einmal im Jahr genau dorthin zurück: Sich seiner Möglichkeiten klar werden (Ja, noch immer!), sich aller Schönheiten und überhaupt des Lebens klar und bewusst werden.
Diese Nachdenklichkeit trägt mich die nächsten Tage durch Mainz, wohin es uns für eine kurze Zeit verschlagen hat.
Ich nehme mir vor, öfter mal zurück zu kommen. – In meine Jugend. Nicht nach Mainz.
ich bin diese woche auch in dieses gefühl zurückgereist, ausgelöst durch das buch, das ich gerade lese. aber irgendwie tut das weh, dieses gefühl. es wiegt schwer auf meiner brust.
Darf ich fragen, was für ein Buch du gerade liest?
Liebe Grüße,
Werner