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Meine kleine Welt

Blick aufs Dorf

Nun sind es beinahe sieben Jahre, die ich in diesem Landstrich lebe. Im Land der 1000 Hügel. Konkret in einem Dorf mit ungefähr 1800 Einwohnern. Und wer hätte je (damals, wann immer dieses „damals“ auch ist) gedacht, dass es mich hierhin verschlagen könnte.

In meinem unserem Dorf gibt es einen Bäcker, drei (!!) Metzgereien (bis Ende letzten Jahres waren es sogar vier), eine Floristin, einen Hofladen, eine „Ziegelhütte“ (Unikat), jede Menge Vereine (sie einzeln aufzuzählen liefe Gefahr einen zu vergessen) und eine freiwillige Feuerwehr. Wichtig: Im Clubhaus des Sportvereins kann man sehr gut italienisch essen.

Im zarten Alter von vier Jahren prägte mein Sohn nach der Ankunft an einem Feriendomizil den ikonischen Spruch „Papa, hier haben wir alles was wir brauchen; hier bleiben wir“ – Ein Satz, der in unseren Sprachgebrauch übernommen wurde und wohl auch für „mein“ Dorf gilt: Ich habe hier alles was ich brauche. Hier bleibe ich.

Wir haben auch eine Kirche (katholisch natürlich: Schließlich sind wir in Baden-Württemberg). Sie duckt sich ein wenig neben dem Silo der örtlichen Mühle und lässt ihr so (aus der Ferne aufs Dorfbild blickend) galant den Vortritt. Nur aus wenigen Perspektiven und bei entsprechendem Bildausschnitt („Vordergrund macht Bild gesund“) lässt sich das Silo kaschieren.

Blick durch ein Fenster aus Neibsheim

Es gibt auch eine Kapelle. Ein wenig außerhalb gelegen, an einem „magischen“ Ort, lädt sie den Vorbeikommenden unter einer alten Linde zum Verweilen. Dort trifft man sich (oft auf der Runde mit dem Hund), nutzt die Bänke und hält einen Plausch.

DIe Adelbergkapelle
Ein Bauwagen im Grünen

Am Ende ist unser Dorf aber nicht mehr als ein Fliegenschiss auf der Landkarte, wie wohl 30.000 andere Dörfer in Deutschland auch . Man muss schon sehr stark in die Karte hineinzoomen, um es zu finden. Insofern unterscheidet sich unser Dorf nicht von dem Dorf in dem ich früher lebte. – Wer will, der darf gerne auf meiner alten „Heimat“ – ALLEAUGENBLICKE.DE – meinem alten Leben nachspüren. Vielleicht hier oder auch hier. Und doch haben sich Dinge nicht nur örtlich verändert.

Die Menschen hier, leben eine große Verbundenheit. Diese drückt sich auch über ihren Dialekt aus: Hier wird badisch gesprochen. Man kann sich vielleicht vorstellen, dass es hier und da nicht so einfach ist, wenn man, so wie ich, aus der Region Deutschlands kommt, in dem „hochdeutsch“ gesprochen wird : Irritationen und Verwechselungen jederzeit möglich („Isch dir kald? Mogsch an Debbich?“) – Was ein „Deppich“ in Baden ist, mag jeder für sich selbst herausfinden.

Jesus am Kreuz
Eine Frau geht an einer weißen Hauswand entlang  und wirft Schatten

Es dauerte eine kleine Weile, bis sich meine Ohren daran gewöhnt hatten (und die Gewöhnung dauert bis heute an, nämlich immer dann, wenn es im Gespräch aus Aufregung oder Hektik mal schneller zugeht: Dann ist`s vorbei mit dem Verstehen).

Aber so ist das mit Dialekten. Sie sind eine der Wurzeln, die Menschen mit ihrer Heimat verbinden:

All ming Jedanke, all ming Jeföhle
Hann ich, sulang ich denke kann, immer noch
Ussjelääv oder erdraare
Enn unserer eijene Sprooch.

(All meine Gedanken, all meine Gefühle
Hab ich, so lang ich denken kann, immer noch
Ausgelebt oder ertragen
In unserer eigenen Sprache)

Wolfgang Niedecken, „Für ne Moment“

Was niemand ahnte, am wenigstens wohl ich selbst: Hier bin ich zu Hause. Auch in Hochdeutsch. Der rastlose Kerl, der fortwährend Suchende, stets Ungeduldige, immer Unzufriedende: hier ist er angekommen. Der, der immer geglaubt hat, er kenne so etwas wie Heimat nicht, muss auf einmal konstatieren, dass er nicht nur angekommen ist, sondern angefangen hat, ein feines Wurzelwerk zu bilden. So leicht diese Erkenntnis auch über meine Lippen kommt; so langwierig und verworren war der Weg hierhin. Und sie traf mich unerwartet genau hier:

Blick auf meine Füße. AUf einer Treppe sitzend

Auf den Stufen einer Treppe sitzend (verschwitzt und durstig) während einer meiner Radtouren : Es sind genau diese Momente der „inneren Einkehr“ (wie nennt man so einen Zustand sonst?), in denen sich Erkenntnisse klar umreißen und strukturieren lassen, in denen lange in mir Schlummerndes in einer Klarheit vor mir liegen, in der ich es nur noch „greifen“ und benennen muss.

Ich habe aufgehört zu suchen.

Dieser kleine, aber für mich wertvolle Gedanke war es: Keine Suche mehr. Schon lange nicht mehr. Kein Suchen, nur noch Finden. Wahrscheinlich liest sich das einmal mehr „Neunmalklug“ und man packt diesen Satz in den Schrank in der Abstellkammer, wo tausende andere gute Ratschläge und weise Sprüche zuvor auch schon abgestellt wurden und darauf warten zu Staub zu verfallen. Tatsächlich aber empfinde ich es so.

Es soll wohl so sein: Mein Suchen hat ein Ende gefunden. In einem Dorf im Kraichgau. Und ehrlich: ich kann mir nichts Schöneres vorstellen.

Schattenwurf auf einer Hauswand
Blick auf die Frankmühle in Neibsheim
Die Frankmühle

„Zum einen ist da die Zeit, die verstreicht, um uns herum, uns entgegen und durch uns hindurch, die Zeit, die uns bindet und formt, die Erinnerungen, die wir hegen oder verdrängen, das heißt: unsere Geschichte. Zum anderen sind da die Orte, an denen wir körperlich anwesend sind und die aus Straßen und Häusern bestehen, aber auch aus Bäumen und Horizonten, aus verschiedenen Temperaturen, hohem oder niedrigem Luftdruck, der Geschwindigkeit, mit der ein Fluss fließt, Höhenlinien, kurz: unsere Geografie. In jedem Augenblick und an jedem Ort schneiden sich diese beiden Bahnen, über die zum Teil unser Schicksal, zum Teil aber auch unser freier Wille entscheidet, wie in einem kosmischen Koordinatensystem in einem Punkt. Und all diese Punkte fügen sich zu einer Linie, einer Kurve, mit einer manchmal sogar, wenn wir Glück haben, klaren Entwicklung, die vielleicht nicht harmonisch, aber doch deutlich auszumachen ist.

Das ist die Gestalt unseres Lebens“

aus „Eva schläft“ von Francesca Melandri
Schwarz-weiß Ansicht auf einen Trecker
Blick durch einen MAschendrahtzaun
Ein Stromverteilerkasten

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4 Kommentare

  1. Lieber Werner,

    Dasein und angekommen sein ist schön. So hört es sich auf jeden Fall an. Und wunderbar ist es bestimmt auch… so klingt es auf jeden Fall.
    Wunderbare Eindrücke.

    Liebe Grüße Jürgen

  2. Bewundernswert!
    Ich differenziere zuweilen zwischen „Heimat“ und „Zuhause“.
    Mein Zuhause ist inzwischen (und wird es wohl auch für immer bleiben) in Oberbayern. Nahe München. Kein schlechter Ort – der Altbürgermeister meinte mal „Poing ist nicht schön, aber praktisch!“. Hier habe ich alles was wir brauchen – hier bleiben wir wohl. (Zumindest bis alle Kinder flügge sind).

    „Heimat“ – Heimat ist für mich Berge&Hügel, Fluss und Weinberg, Fachwerkhaus und Hocketse, Wein und Hausmannskost. Inzwischen haben ich neben Württemberg auch Unterfranken als meine Heimat liebgewonnen.

    Vielleicht – vielleicht vielleicht ziehen wir doch nochmals um.
    Aber wie war das mit den „alten Bäumen die man nicht verpflanzen sollte“?
    Wann ist der letzte Zeitpunkt neue Wurzeln treiben zu können?

    Damit ich keim „Heimweh“ bekomme reicht es akutell noch jährlich im Herbst in Württemberg oder Unterfranken ein Wochenende im Weinberg zu verbringen.

    Dir lieber Werner wünsche ich trotz der linguistischen Herausforderungen im badischen Land eine wunderbare Zeit zum verweilen und der inneren Einkehr. Ich glaube du hast vieles richtig gemacht. Du hast losgelassen. Ich nehme das mal als Anregung. Danke.

    1. Vielen Dank, Oli. – Auch für deine Gedanken. Ich weiß aus den vielen Beiträgen und Texten, die wir über die Jahre hinweg „teilen“, dass wir eine ähnliche Sicht auf die Dinge haben, die wir „Heimat“ und „Zuhause“ nennen. Vielleicht „fühlen“ wir das auch ähnlich. In jedem Fall wird es Zeit meines Lebens ein Thema bleiben: Denn Heimat und Zuhause haben auch immer was mit der konkreten Lebenssituation zu tun (Arbeit, Familie etc.). Mit kleinen Veränderungen dort, verändert sich auch (vielleicht) auch wieder die Sicht auf das „Zuhause“.
      Alles Gute auch für dich!
      Liebe Grüße,
      Werner

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